Eine Erläuterung in Kurzform
Wuwei bedeutet das Handeln ohne Anspannung, ohne Anstrengung und ohne eine erfolgsorientierte Absicht. Es beschreibt ein Handeln, welches in seiner Handlung selbst versunken ist. Im Einklang mit der Natur und dem eigenen Rhythmus tust du etwas ganz und gar, im Hier und Jetzt, im Augenblick. Du tust es bewusst, mit minimalem Krafteinsatz.
Das passende Bild kommt vom Wasser. Es wendet immer den minimalsten Aufwand an, um sein Ziel zu erreichen. Und obwohl es sehr sanft wirkt, gibt es nichts, was sich dem Wasser widersetzen kann.
Bei Wuwei Qigong symbolisiert der oben offene Kreis dieses Potential. Wir glauben, dass im augenblicklichen, absichtslosen, achtsamen, anstrengungsloses, natürliches Handeln im eigenen Rhythmus ein Möglichkeitsraum für dich entsteht, welcher durch den offenen Kreis symbolisiert wird.
Willst du mehr über Wuwei erfahren?

Eine etwas längere Erläuterung
Lǎozǐ prägt den Begriff des Wuwei (无为, 無爲, wúwéi). Im Standardwerk des Daoismus, dem Dàodéjīng (oftmals als ‘Tao te king’ übersetzt), beschreibt er Wuwei im Kapitel Zwei und im Kapitel Acht:
»Deshalb gilt für den auf dem Weg befindlichen,
er handelt, ohne zu etwas zu tun,
er lehrt, ohne etwas zu sagen.
Dinge kommen und er lässt sie kommen;
Dinge verschwinden und er lässt sie gehen.
Er erzeugt, doch er besitzt nicht,
er wirkt, doch er erwartet nicht.
Er vollbringt sein Werk,
und hält daran nicht fest.
Deshalb wirkt er für immer.«
»Das höchste Gut ist wie Wasser,
es streitet nicht,
es bewohnt, was die Menschen verabscheuen
…
Wenn du dich begnügst,
einfach du selbst zu sein,
und weder vergleichst noch wetteiferst,
wird jeder dich achten.«
Wuwei am Beispiel des Lernens
Lǎozǐ bezieht sich im Dàodéjīng an vielen Stellen auf Wuwei (siehe Kapitel 9, Kapitel 30, Kapitel 36, …). Im Kapitel 48 beschreibt Lǎozǐ Wuwei am Beispiel Lernen.
»Wer lernen tut, nimmt täglich zu;
Wer Tao tut, nimmt täglich ab,
nimmt ab und wiederum nimmt ab,
um anzulangen im Nicht-Tun,
Nicht-Tun, und doch bleibt nichts ungetan.
Übernimmt er das Reich,
(so ist es) stets durch Nicht-Geschäftigkeit.
Solange einer Geschäftigkeit hat,
verdient er nicht, das Reich zu übernehmen.«
Eine kurze Geschichte als Beispiel:
»Ein Junge reiste durch ganz Japan, um einen großen Meister der Kampfkunst aufzusuchen. Er bekam eine Audienz beim Sinseh und sagte: “Ich möchte der Beste im ganzen Land werden. Wie lange wird das dauern?” Und der Sinseh sagt: “Zehn Jahre.” Der Schüler sagte: “Meister, ich bin fest entschlossen. Ich werde Tag und Nacht arbeiten. Wie lange wird es dann dauern?” Und der Sinseh sagte: “Zwanzig!”«
Wuwei am Beispiel der Bhagavad-Gita
Der Begriff des Handelns im Nicht-Handeln wird im Standardwerk des Yoga, der Bhagavad-Gita, ebenso aufgeführt.
»Wer das Nicht-Handeln im Handeln sieht und das Handeln im Nicht-Handeln, der ist der Weiseste unter den Menschen, einer, der den Yoga verwirklicht hat, der alles vollendet hat.«
Wuwei und Peter Sloterdijk
Peter Sloterdijk erklärt Wuwei treffend in einem TV-Interview (in dem Abschnitt geht es um ›erreichen‹).
»wenn gefragt wird, wie man das erreichen kann, muss man sich klar machen, dass das wort ‘erreichen’ … zu der welt der anstrengungen gehört. man müsste sich eher fragen, was kann ich tun, um weniger ungeeignet zu sein für einen solchen zustand. und das setzt wiederum voraus, dass wir aus dieser grammatik des erreichens austreten und in eine grammatik des schon-da-seins oder des einmündens übergehen.«
Wuwei und Greg Johanson, Ron Kurtz
Zwei Hakomi-Therapeuthen erläutern Wuwei aus ihrer Sicht.
»Nichtsein bedeutet, sich nicht mit einem Teil von irgendetwas oder sich selbst zu identifizieren, sondern alles anzunehmen und nichts auszuschließen. In ähnlicher Weise bedeutet Nicht-Tun für Lao Tse nicht nichts tun, sondern vielmehr nicht einzugreifen, nur das zu tun, was natürlich im Einklang mit dem Fluß unserer sich ständig verändernden Welt.«
Wuwei und verschiedene Interpretationen
Die Beschreibungen zu Wewei sind oft sehr wage und nicht einfach zu verstehen. Im Laufe der Jahrhunderte entstanden vielfältige Übersetzungen, Interpretationen von Wuwei:
- Handeln im Nichthandeln (und umgekehrt: Nichthandeln im Handeln)
- Wirkung aus dem Unbekannten, Wissen aus sich selbst heraus
- Tun im Nichttun (Kurzform: Tun nicht Tun)
- absichtslose Absichtslosigkeit, absichtsvolles Nichtstun
- wirken lassen, ohne einzugreifen
- Veränderung entstehen lassen, indem man nichts verändert
- Handeln ohne den Erfolg zu erwarten (bildhafter: ohne die Früchte zu ernten)
- Der Weg ist der Weg (statt: Der Weg ist das Ziel)
- selbstvergessenes Handeln, gemäß dem natürlichen Fluss der Dinge
- deinem Rhythmus folgen und nichts tun, was diesem zuwider läuft
- nicht-gewaltsames Eingreifen in den Lauf der Dinge (nach Gě Hóng)
- Naturtugend der Regungsloskeit (de Groot)
- Pflege des seelischen Gleichgewichts (Stiefvater)
- Enthaltung eines gegen die Natur gerichteten Handelns
- In Japan spricht man von Zanshin 残心
Wuwei konkret beschrieben
Für deine Praxis haben wir bei Wuwei Qigong eine für unsere Zeit passende Beschreibung von Wuwei.
Im Augenblick sein
Wenn du handelst, tust, wirkst, so sei stets im Augenblick der Handlung. Sei voll und ganz bei der Handlung. Kein Multitasking, tue nur eine Sache.
»Unsere Verabredung mit dem Leben findet im gegenwärtigen Augenblick statt. Und der Treffpunkt ist genau da, wo wir uns gerade befinden.«
Absichtslos sein
Hafte bei deinem Tun nicht an ein Ziel, sondern empfange alle Kraft aus deinem Tun heraus. Dies bedeutet nicht, ziellos zu sein. Es bedeutet, die Anhaftung an das Ziel loszulassen.
»Und ich habe mich so gefreut!”,
sagst du vorwurfsvoll,
wenn dir eine Hoffnung zerstört wurde.
Du hast dich gefreut – ist das nichts?«
Achtsam sein
Sei mit deiner Achtsamkeit bei dir, bei deinem Körper. Lasse die Aussenwelt, deine Gedanken an die Aussenwelt los. Was spürst du wo in deinem Körper, was verändert sich?
»Es gibt keine Methode, es gibt nur Achtsamkeit.«
Ohne Anstrengung sein
Praktiziere mit der geringsten Kraftanstrengung. Lasse dazu Anspannungen los, vermeide unnötige Anstrengung, entspanne deinen Körper. Wichtige Bereiche sind Kiefer, Schultern, Brust, Hüfte und Knie.
»Die Kraft des Geistes ist grenzenlos,
die Kraft der Muskeln ist begrenzt.«
Mit der Natur sein
In der Natur brauchen die Dinge ihre Zeit. Du kannst sie nicht verkürzen, beschleunigen. Lasse den Dingen ihren natürlichen Lauf. Achte und wahre die Eigenarten aller Lebenwesen und der Natur.
»Obgleich sie kurz sind, kann man die Beine der Ente nicht strecken, ohne dass die Ente leidet; ebenso wenig kann man die langen Beine des Kranichs verkürzen, ohne dem Kranich Schmerzen zuzufügen. So darf alles, was von Natur lang ist, nicht verkürzt und alles, was kurz ist, nicht gestreckt werden. Auch sonst sollte alles Schmerzhafte vermieden werden.«
Im eigenen Rhytmus sein
Du besitzt einen persönlichen, individuellen Rhythmus. Gestalte diesen Rhythmus so, dass es dir gut geht. So, dass alle Bedürfnisse zur Entfaltung kommen. Meide die Extreme, suche die Abwechslung.
»Nicht zu lange gehen,
nicht zu lange stehen,
nicht zu lange sitzen,
nicht zu lange liegen,
nicht zu lange sehen,
nicht zu lange hören«